Ausgabe Nr. 4/2019
Kriminologisches Journal Heft 4/2019
Inhalt
Aufsäze
Renitenz als Resistenz - Zur nationalsozialistischen Konstruktion und Verfolgung von „Berufsverbrechern“
Andreas Kranebitter
Aktuelle Debatten um die Ausweitung polizeilicher Befugnisse im Rahmen der Terrorismusbekämpfung blenden die „vorbeugende Verbrechensbekämpfung“ im Nationalsozialismus aus. Unter der Perspektive des Labeling Approaches soll der Zuschreibungsprozess des Etiketts „Berufsverbrecher“ durch die quantitative Auswertung der Strafregister von 146 österreichischen „Berufsverbrechern“ untersucht werden, die von der Kriminalpolizei in das KZ Mauthausen deportiert wurden. Es wird gezeigt, dass die „vorbeugende Verbrechensbekämpfung“ auf die Delinquentenmilieus kleiner Eigentumsdelinquenz in Verbindung mit Verurteilungen wegen Widersetzlichkeiten gegen die Obrigkeit fokussierte, wobei Renitenz als Resistenz gegen den nationalsozialistischen Staat gewertet und verfolgt wurde.
Entgrenzung von Devianz? Kritische Überlegungen zu moralisierenden Kategorien im japanischen Devianzverständnis
Stephanie Osawa
Der Beitrag beschäftigt sich mit abweichendem Verhalten in Japan und untersucht auf Grundlage interaktionistischer Ideen die so genannte „Prädelinquenz“ und die dort formulierten moralisierenden Normkategorien. Im Fokus stehen Prozesse der Handlungsauslegung: So wird zunächst nachvollzogen, wie moralisierende Normierungen in Recht und Gesetz verankert sind. Anschließend wird untersucht, wie die dort sichtbar werdenden diffusen Kategorisierungen in Prozesse der sozialen Kontrolle hineinwirken. Der Beitrag kommt zu dem Schluss, dass schwammige Begrifflichkeiten wie die des „Unmoralischen“ oder „Dubiosen“ zu einem Ausfransen der Grenzen des Erlaubten führen, was die Gefahr stigmatisierender Prozesse der sozialen Kontrolle verstärkt.
Diskussionsbeiträge
Die Empirie von Ausnahmezuständen.Grenzziehungen zwischen Demokratierettung und Normalisierung
Matthias Lemke
Ausnahmezustände sind komplexe gesellschaftliche Prozesse der Krisenreaktion, die rechtliche und politische Praktiken miteinander verbinden. Um sie angemessen empirisch analysieren zu können, bedarf es einer mehrdimensionalen, auf den öffentlichen Diskurs fokussierenden, langfristig angelegten Forschungsstrategie. Nur so lässt sich beobachten, wie und unter welchen Umständen ein konkreter Ausnahmezustand Demokratie unterminiert.
Ausnahmezustände: Die Eiche und das Schilfrohr der Rechtswissenschaften. Kann ein Begriff zugleich verformbar und zerbrechlich sein?
Fabien Jobard
Dieser Aufsatz ist ein Diskussionsbeitrag zu dem Artikel von Andrea Kretschmann und Aldo Legnaro (2018) zum Begriff des Ausnahmezustandes. Er besteht aus einer kurzen Diskussion ihres Vorschlags, den Begriff „Ausnahmezustand“ in den Plural „Ausnahmezustände“ umzuwandeln. Ich beziehe mich dabei auf empirische Überlegungen zum Ausnahmezustand in Frankreich, der dort von 2015 bis 2017 ausgerufen war.
Tagungsberichte
„Mauer(n)!“ Bericht über die Konferenz des Netzwerks Kriminologie Berlin am 01.12.2018 an der Freien Universität Berlin (Knop/Kroupa/Mika/Nickels/Rotino/Tanz/Wegner)
Diskurs – Praxis – Kriminalität. Erste Jahrestagung des Netzwerks „Kriminologie in NRW“ vom 27.-29. März 2019 an der Universität Siegen (Addamo/Blum/Dobbener/Grebing/Simon/Topaktas)
Buchbesprechungen
Veronika Hofinger: Die Konstruktion des Rückfalltäters. Von Lombroso bis zu den Neurowissenschaften (Wehrheim)
Ueli Hostettler/Irene Marti/Marina Richter: Lebensende im Justizvollzug. Gefangene, Anstalten, Behörden (Graebsch)
Meropi Tzanetakis/Heino Stöver (Hg.): Drogen, Darknet und Organisierte Kriminalität. Herausforderungen für Politik, Justiz und Drogenhilfe (Legnaro)