Ausgabe Nr. 4/2016

 

Themenheft "Transnationale Dynamiken lateinamerikanischer Sicherheit und Justiz"

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhalt

 

The impact of Edward Snowden's revelations and the trends of military securitization of the internet in Brazil

Jonathan Razen & Gabriela Rondon

In diesem Artikel werden die Enthüllungen der elektronischen Massenüberwachungsprogramme der USA, die in Brasilien politische und ökonomische Institutionen ausspioniert haben, aus einer Perspektive des globalen Südens analysiert. Zu Beginn werden die Äußerungen des brasilianischen Präsidialamts und des Außenministeriums im Kontext des Erlasses des Gesetzes "Marco Civil da Internet" diskutiert. In dem Artikel wird gezeigt, wie sich der Überwachungsskandal auf die Diskurse der staatlichen Institutionen Brasiliens und die Entwicklungen im Cybersecurity und Geheimdienstsektor auswirkten. Dabei gehen wir von der These aus, dass der offizielle Diskurs in Reaktion auf die Enthüllungen Snowdens darauf zielt, Sicherheitslösungen zu finden, die weder die Grundrechte noch die staatliche Souveränität aufgeben. Die im Bereich Cybersecurity ergriffenen Maßnahmen nutzen diesen Ansatz jedoch, um Ausnahmen zu legitimieren, die Grundrechte verletzen.

Transnational Corporations, Human Rights Violations and Structural Violence in Latin America: A Criminological Approach

Maria Laura Böhm

Unternehmerische Aktivitäten transnationaler Konzerne gehen in Lateinamerika oft mit Menschenrechtsverletzungen einher. Diese schweren Menschenrechtsverletzungen können unterschiedlicher Natur sein und sind oft eine direkte oder indirekte Folge der rechtlichen und wirtschaftlichen internationalen Politik und eine direkte oder indirekte Ursache von Gewalt und Unsicherheit auf nationaler Ebene. In diesem Beitrag werden die Kontexte unternehmerischen Handelns diskutiert, in denen Menschenrechtsverletzungen auftreten. Anhand von drei Thesen werden die Auswirkungen der grenzüberschreitenden Wirtschaftspolitik und der Aktivitäten transnationaler Unternehmen als Ursache für die strukturelle und sichtbare Gewalt und für die Unsicherheit erläutert. Diese Thesen werden mittels dreier Beispiele aus Chile, Ecuador und Brasilien empirisch begründet. Zudem werden kriminologische Konzepte im Hinblick auf ihr Potential für die Analyse transnationaler kriminogener Bedingungen untersucht.

 

Punitivism with a human face: criminal justice reformers international and regional strategies and penal-state making in Argentina, Chile and beyond.

Paul Hathazy

In diesem Aufsatz erkläre ich die regionalen Import- und Exportstrategien lateinamerikanischer Rechtsreformer und die Entstehung eines regionalen Reformkompetenzzentrums. Mit der Untersuchung dieser regionalen Prozesse - die von den meisten Studien unberücksichtigt gelassen werden, da diese sich auf Nord-Süd-Bewegungen von zentralen Ländern zu peripheren Ländern konzentrieren - er läutere ich die Inhalte und Umsetzungskonzepte der Strafprozessreformen der letzten zwei Jahrzehnte in vielen lateinamerikanischen Staaten, durch welche ihr Bestrafungsvermögen und -legitimität zugenommen hat. Hierbei analysiere ich die argentinischen und chilenischen Strafprozessreformen der 1980er und 1990er Jahre, die den Kern dieser regionalen Dynamiken bilden. Mit der Einordnung dieser regionalen Strategien und Institutionen in historische transatlantische und kontinentale Strafrechtskompetenzkreise argumentiere ich, dass sie sich aus Streitigkeiten innerhalb der Strafjustizfelder der einzelnen Länder ergeben, sowie daraus, dass Reformer ihre Auseinandersetzungen in die Region exportieren, um im jeweiligen Heimatland Stärke wiederzuerlangen oder die Macht der Handelnden in den zentralen Ländern anzufechten.

 

Diskussionsbeitrag

Die Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen zwischen Mexiko und der Bundesrepublik Deutschland: Ein Kampf gegen das transnationale organisierte Verbrechen?

Carlos A. Pérez Ricart

In dem Beitrag werden die Verhandlungen zum Abschluss eines Sicherheitsabkommens zwischen Mexiko und Deutschland (2010-2015) analysiert. Es wird die These vertreten, dass keine der Regierungen das offizielle Ziel verfolgte, eine "Verbesserung der Kooperationsmechanismen" gegen die "Transnationalisierung des organisierten Verbrechens" zu erreichen. Vielmehr dienten diese Ziele der Legitimation bürokratischer und wirtschaftlicher Interessen. Für die mexikanische Seite gilt es, angesichts der Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen ihre Sicherheitspolitik zu legitimieren; für die deutsche Seite, einen institutionellen Rahmen zu schaffen, um die größtmögliche Menge an Sicherheitsequipment und -technologie an Mexiko zu verkaufen.

 

 

Buchbesprechungen:

Anne Huffschmidt/Wolf-Dieter Vogel/Nana Heidhues/Michael Krämer (Hg.): TerrorZones. Gewalt und Gegenwehr in Lateinamerika (Dorsch/Klaus)

Jonathan D. Rosen und Marten W. Brienen (Hg.): Prisons in the Americas in the Twenty-First Century. A Human Dumping Ground (Feest)

Graham Denyer Willis: The Killing Consensus. Police, Organized Crime and the Regulation of Life and Death in Urban Brazil (Müller)

Bestellen/Abonnieren

Aktuelles

Jahrestagung Sektion soziale Probleme und soziale Kontrolle

Call for papers „Alles neu!? Problemsoziologische Perspektiven auf Semantiken und Praktiken sozialer Innovation und Transformation“

Jahrestagung der Sektion soziale Probleme und soziale Kontrolle in der Deutschen Gesell-schaft für Soziologie am 17./18.11.2023 in Hannover

Wenngleich Ideen, die gegenwärtig mit dem Begriff der sozialen Innovation belegt werden, selbst keineswegs Anspruch auf Neuigkeit erheben können (vgl. u. a. Popplow 2021), ist in jüngerer Zeit ein vermehrtes politisches wie auch wissenschaftliches Interesse an dem theo-retischen Konzept sowie entsprechend markierten empirischen Phänomen zu vermerken (Schüll et al. 2022; Howaldt 2022). Soziale Ungleichheiten, gesellschaftlicher Wandel und di-verse – aktuelle wie sich abzeichnende – Krisenphänomene (u. a. COVID-19-Pandemie, Kriege, Migrationsbewegungen, Klimawandel) leisten Diskussionen um soziale Innovation und Transformation zusätzlichen Vorschub. Diesen als miteinander verschränkt wahrgenomme-nen gesellschaftlichen Entwicklungen soll, zumindest auf programmatischer Ebene, durch so-ziale Innovationen begegnet werden – sie fungieren hier als „Instrumente gesellschaftlicher Gestaltung“ wie auch als Mittel zur „Steuerung sozialen Wandels“ (Schubert 2016: 409). Als konstitutiv für soziale Innovation gelten dabei Merkmale wie Anders- und Neuartigkeit sowie der Anspruch, gesellschaftliche Phänomene, Entwicklungen wie auch individuelle Lebensäußerungen unter „Bezugnahme auf gesellschaftlich hoch geachtete Werte und anerkannte Ziel-dimensionen“ (Schüll 2022: 33) zu einem ‚Besseren‘ zu beeinflussen.

 

Weiterlesen...

Workshop Goethe-Universität Frankfurt

„Not kennt kein Gebot? Hunger und Devianz in Rechtsgeschichte und Kriminologie“

Hunger gehört bis heute zu den größten ungelösten Problemen der Menschheit. Die Unterernährung gravierender Teile der Weltbevölkerung hat zuletzt stark zugenommen und damit wieder an Bedeutung gewonnen. Das Ernährungsproblem betrifft dann nicht nur einzelne Menschen, sondern bedroht ganze Gesellschaften. Nahrungsmittelknappheit kann dabei unterschiedliche Formen annehmen und von wiederkehrenden, durch Missernten, Kriege oder Naturkatastrophen ausgelösten Hungersnöten bis hin zu längeren Perioden der Unterernährung von einzelnen Gruppen oder ganzen Bevölkerungen reichen.

Weiterlesen...

Call for Papers zum KrimJ Schwerpunktheft 4/2023

„Method(ologi)en kritisch-kriminologischer Forschung“

Forschung in und über Kriminalisierungs- und Ausgrenzungsprozesse, soziale Probleme und soziale Kontrolle stellt sich besonderen Herausforderungen. Gegenstände kritisch-kriminologischer Forschungen sind Teil öffentlicher Problematisierungen und so normativ und (kriminal)politisch aufgeladen, bisweilen polarisieren sie. Dies liegt auch daran, dass die Gegenstände häufig aus eben jenen Praxisbezügen heraus generiert werden und gesellschaftliche Ordnungsverhältnisse adressieren.

Weiterlesen...

Call for Papers: Zugänge zum Recht – zugängliche Rechte?

 

Fünfter Kongreß der deutschsprachigen Rechtssoziologie-Vereinigungen 21.-23. September 2023; Leopold-Frantzen-Universität Insbruck

“Zugang zum Recht” ist ein klassisches rechtssoziologisches Thema und  ̶  im Plural  ̶  Ausgangspunkt für den interdisziplinären Kongress im September 2023, auf dem aktuelle Überlegungen sowie Debatten rund um „Zugänge zum Recht“ und „zugängliche Rechte“ vorgestellt werden können – gerade vor dem Hintergrund aktueller Krisen und Herausforderungen (Wirtschaft, Klima, Gesundheit, Migration etc.) und technologischer Entwicklungen (allen voran Digitalisierung und Mediatisierung). Dabei geht es um die Zugänglichkeit des Rechts im sozialen Sinne genauso wie um theoretische und methodische Zugänge der Rechtsforschung. Die Zugänglichkeit des Rechts ist, wie empirische Studien immer wieder zeigen, für Menschen abhängig von Herkunft, sozialer Schicht, Geschlecht, Behinderung etc. in sehr unterschiedlichem Maße gegeben.

Weiterlesen...

Akteure und soziale Kontexte rechter Gewalt

Online-Vortragsreihe im Wintersemester 2022/23

Das Ausmaß rechter Gewalt in Deutschland wird in staatlichen und zivilgesellschaftlichen Statistiken - zum Teil sehr unterschiedlich - quantifiziert. Gerade in der medialen Auseinandersetzung ist dieser statistische Blick auf rechte Gewalt sehr präsent, obwohl er nur bedingt zum Verstehen und Erklären rechter Gewaltphänomene beiträgt. Aus einer soziologisch-historischen Perspektive hingegen rücken Fragen nach konkreten Akteuren sowie nach den sozialen Kontexten rechter Gewalt in den Vordergrund. In diesem Sinne möchten wir mit unserer Veranstaltungsreihe dazu beitragen, den Blick auf rechte Gewalt zu weiten und verschiedene aktuelle sowie historische Phänomene zu beleuchten.

Weiterlesen...